Ethik

Die andere Seite von Coaching

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage  

Coaching ist in Interaktion mit einer Welt entwickelt worden, die den Erfolg will und Misserfolg gerne ausblendet. Scheitern ist keine Option – Coaching ist eine Erfolgspraxis. Heißt das, Coaching hat keine negativen Wirkungen? Doch Coaching zur nebenwirkungsfreien Zone zu erklären oder sie auf „schwarze Schafe“ abzuschieben greift zu kurz: Wer handelt, kann Fehler machen. Nur, was sind überhaupt „negative Wirkungen“ im Coaching und welche Konsequenzen können sie haben?

14 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2013 am 20.11.2013

Der „Beipackzettel zum Coaching“: Es könnte sich um Zeit- und Geldverschwendung handeln. Es wurden schon Abhängigkeiten vom Coach festgestellt. Vorsicht ist geboten bei mangelnder Ausbildung des Coachs. Nichterkennen von körperlichen Krankheiten und psychischen Störungen könnte zu deren Chronifizierung beitragen. Gewisse Coaches neigen dazu, das eigene Wertesystem auf andere übertragen zu wollen oder versuchen, auf Ihr Verhalten einzuwirken, wenn Sie sich nicht theorieadäquat verhalten.

Ebenfalls ist Vorsicht am Platz, wenn ein Coach zu stark an einzelnen, ganz sicher erfolgversprechenden Methoden hängt und sie als allein selig machend verkauft. Coachings ohne Ende sind in der Regel nicht hilfreich. Wenn Sie vor wichtigen Entscheidungen immer erst Ihren Coach kontaktieren müssen, läuft etwas schief. Eine zu starke Betonung der Machbarkeit ist heikel. In gewissen Umgebungen wird die Inanspruchnahme eines Coachings als Stigma betrachtet. Wenn Ihnen der Coach seine Lebensgeschichte erzählt, ist das vielleicht spannend und authentisch, zum Erfolg trägt diese Selbstoffenbarung aber vermutlich wenig bei.

Alles Phantasie? Keineswegs. Die im „Beipackzettel“ aufgeführten Risiken, Nebenwirkungen und Schäden sind das Resultat einer zugegebenermaßen unsystematischen Zusammenstellung von Hinweisen aus einer umfassenden Recherche der einschlägigen Coaching-Literatur und eigener Forschungen.

Die andere Seite des Coachings

Die „andere“ Seite von Coaching ist in der Literatur zwar durchaus ein Thema, aber nur am Rande. Unerwünschte Wirkungen werden selten, eher beiläufig erwähnt. Eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema hat noch nicht stattgefunden. Indirekt lassen sich auch aus der Wirksamkeitsforschung im Coaching Schlüsse auf die „andere“ Seite von Coaching ziehen. Bei genauer Betrachtung stellt man nämlich fest, dass das Ausmaß der Wirkungen oft bescheiden oder praktisch gleich Null ist. Was nichts anderes heißt, als dass ein substanzieller Anteil der Klienten das Coaching mit leeren Händen verlässt.

Aus der Sicht von Coaches und deren Kunden, die gute Erfahrungen mit Coaching gemacht haben, mag der Bedarf nach mehr Wissen zu diesem Thema nicht dringlich sein. In Zeiten aber, in denen Kunden schon für einfachste Produkte Herkunftsnachweise, Inhaltsangaben und Unbedenklichkeitsbescheinigungen verlangen, wird die Frage nach den weniger erfolgreichen Seiten von Coaching zunehmend aktuell. Sonst ist zu befürchten, dass sich Coaching zu einem letzten Refugium für Scharlatane aller Art entwickelt. Der Coaching-Begriff selbst, seine ungeschützte und beliebige Verwendungsweise, öffnet Risiken, Misserfolgen und Schäden aller Art Tür und Tor. Solange jeder ein Coach und alles Coaching sein darf, ist auch auf der Ergebnisseite alles möglich. Man darf sich dann nicht wundern, wenn ergebnisseitig nicht nur pures Gold resultiert.

Bis die Zahnbürste beim Kunden landet, hat sie vielfache Kontrollmechanismen durchlaufen. Unter dem Label Coaching hingegen darf jeder anbieten, was er will. Was dann aber auch heißt, dass der Kunde bei einer Entscheidung für oder gegen ein Coaching auf sich allein gestellt ist. Oder es wird von der Annahme ausgegangen, dass Coaching grundsätzlich keine Risiken beinhaltet, keine Nebenwirkungen kennt und nicht schaden kann.

Kein Fokus auf negative Wirkungen

Dieser Annahme widersprechen aber die vielfältigen Bestrebungen der verschiedenen Anspruchsgruppen von Coaching zur Sicherstellung der Qualität. In Verbandsrichtlinien, in Ausbildungsstandards, in der Professionalisierungsdebatte und in der Coaching-Ethik geht es immer auch um die Schaffung von Rahmenbedingungen bis hin zu konkreten Handlungsanweisungen für Coaches, die zur Verbesserung des Angebots und damit auch zur Verhinderung von negativen Wirkungen beitragen sollen.

Es wird also sehr viel getan, um den Erfolg von Coaching sicherzustellen. Umso mehr erstaunt es, dass die Debatte über mögliche negative Wirkungen offensichtlich noch ganz am Anfang steht. Gründe für die Vernachlässigung des Themas gibt es einige. Coaching ist noch jung und die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Da ist es naheliegend, dass man versucht, zunächst die erwünschten Veränderungen nachzuweisen. Ein weiterer Grund ist methodischen Ursprungs. Wirksamkeitsstudien basieren in der Regel auf dem Vergleich von Mittelwerten. Bei mehrheitlich positiven Veränderungen führt dies dazu, dass Verschlechterungen oder die Stagnationen einzelner Individuen durch die positiven Veränderungen der Mehrheit überkompensiert, d.h. „geschluckt“ werden.

In Gesprächen mit Coaches wird ein gewisses Unbehagen, manchmal gar Ablehnung, dem Thema gegenüber spürbar. Man spricht offenbar nicht gerne über mögliche negative Seiten von Coaching.

Vielleicht sind im Coaching auch ähnliche Mechanismen wirksam, wie in der Psychotherapie. Dort weisen Befunde darauf hin, dass Psychotherapeuten u.a. von Wahrnehmungsverzerrungen zugunsten der eigenen Fähigkeiten betroffen sind (Busch & Lemme, 1992). Laut den gleichen Autoren lehnen zudem etwa 70 Prozent der befragten Therapeuten die Vorstellung von Nebenwirkungen ab.

Plausibel ist auch der Gedanke, dass sich Coaching in selbst geschaffenen Sprachspielen und Mythen verfängt. Coaching ist in Interaktion mit einer Welt entwickelt worden, die nur den Erfolg will und den Misserfolg gerne ausblendet. Scheitern ist keine Option. Oder, wie es ein Coach ausdrückt: „Coaching ist eine Erfolgspraxis – wer sein Herz auf dem rechten Fleck hat, kann nicht falsch liegen“.

Vielleicht fehlt Coaches aber einfach nur die Sprache, um über negative Wirkungen zu sprechen. In Interviews mit Coaches fiel den meisten das Reden über negative Wirkungen nicht leicht, auch nachdem die erste Abneigung gegenüber dem Thema überwunden war und obwohl viele sich sehr eloquent ausdrücken und gewohnt sind, mit sprachlichen Abstraktionen umzugehen.

Ein Grund liegt vermutlich daran, dass in der Coaching-Literatur noch kein begrifflicher Rahmen zur Beschreibung der negativen Wirkungen zu finden ist. In der Psychotherapieforschung hingegen existieren hierzu schon verschiedene Vorschläge (Leitner & Märtens, 2012). Der nun folgende begriffliche Rahmen lehnt sich an die Ausführungen von Leitner und Märtens an, wurde aber leicht vereinfacht und auf Coaching angepasst.

Begrifflicher Rahmen

Generell umfasst der begriffliche Rahmen die Auseinandersetzung mit negativen Wirkungen von Coaching und deren Ursachen. Ziel ist immer, Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen und unerwünschten Wirkungen vorzubeugen. In diesem Zusammenhang sind folgende Fragen aufzuwerfen:

  • Welche negativen Wirkungen können auftreten (und wie häufig)? 
  • Risikofaktoren: Was sind Ursachen für die negativen Wirkungen?
  • Wer ist (in welchem Ausmaß) von negativen Wirkungen betroffen? 
  • Wie können negative Wirkungen erfasst werden?

Welche negativen Wirkungen können auftreten?

Unter negativen Wirkungen werden unerwünschte Nebenwirkungen, Misserfolge und Schäden verstanden. Neben unerwünschten kann es selbstverständlich auch erwünschte Nebenwirkungen geben. Unerwünschte Nebenwirkungen sind weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzungen für Misserfolge oder Schäden.

Als Misserfolg wird die unzureichende oder fehlende Erreichung der im Coaching angestrebten und vereinbarten Ziele bezeichnet. Die gewünschten Effekte aus Sicht des Klienten und/ oder des Coachs bleiben ganz oder teilweise aus. Über die Ursachen des Misserfolgs ist damit aber noch nichts bekannt. Aus Misserfolgen können Schäden resultieren – aber nicht zwingend.

Wird ein Coaching abgebrochen, weil sich die Voraussetzungen änderten, ist dies gemäß Definition ein Misserfolg, der aber, wenn man von der investierten Zeit und dem Geld absieht, keine Schäden nach sich zieht. Von Misserfolgen sind unerwünschte Nebenwirkungen abzugrenzen. Sie bezeichnen das Auftreten nachteiliger Effekte während und nach einem Coaching. Nebenwirkungen können, müssen aber keineswegs zu Misserfolg oder Schäden führen. Nebenwirkungen, erwünscht oder unerwünscht, sind normale Folgen von Interventionen. So wie die Behandlung von Triggerpunkten in der Physiotherapie recht schmerzhaft sein kann, ist es möglich, dass Klienten durch ein Coaching verunsichert werden oder unter Umständen nicht nur schmeichelnde Erkenntnisse über sich selbst gewinnen.

Der Blick in den Spiegel offenbart manchmal auch Unerfreuliches. Beratung ist ja nicht Wellness, sondern immer auch ein Gang entlang der Grenze. Wer Neues lernen und Altes hinter sich lassen möchte, wird auf seinem Weg vielleicht Verunsicherung und manchmal Trauer erleben.

Nicht zu unterschätzen ist eine Nebenwirkung, die aus einem Risikofaktor aus dem Umfeld von Coaching resultiert. Es geht um die Stigmatisierung durch Coaching. Wenn die Bezeichnung einer Person als „Coaching-Fall“ in der organisationsinternen Sprachverwendung auf die bevorstehende Entlassung verweist, oder wenn es ruchbar wird, dass man alle „Low Performer“ in ein Coaching schicken will, hat dies Konsequenzen für Coach und Klient. Nebenwirkungen können sich auch auf das Umfeld des Klienten beziehen. Veränderungen im Verhalten des Klienten können sich auf seine Organisation, aber auch private Beziehungen auswirken.

Schäden können aus unethischem Verhalten des Coachs resultieren oder wenn Nebenwirkungen anhaltend und erheblich nachteilig sind. Sexuelle Übergriffe oder finanzielle Ausbeutung sind Fehlverhalten, die u.U. nachhaltige Schädigungen nach sich ziehen können. Das Ausbrechen einer tief wurzelnden Krise ist zunächst eine Nebenwirkung und liegt immer im Bereich des Möglichen. Ein Schaden resultiert daraus erst, wenn der Coach nicht angemessen oder gar nicht darauf reagieren kann.

Der Übergang von unerwünschten Nebenwirkungen zu Schäden ist fließend. Eine exakte Grenze zu ziehen dürfte schwierig bis unmöglich sein. Noch viel schwieriger ist die Quantifizierung der Schäden. Hilft der Coach dem Klienten dabei, die krankmachenden Bedingungen innerhalb der Organisation besser zu bewältigen, trägt er damit vermutlich zur Systemstabilisierung bei. Macht er sich zum Erfüllungsgehilfen der Organisation, indem er versucht, den Klienten im Sinne der Organisation zu disziplinieren, kann dies beim Klienten eine nachhaltige Vertrauenskrise auslösen. Wie solche Schäden zu bemessen sind, bleibt eine offene Frage.

Welche Risikofaktoren oder Ursachen gibt es?

Risikofaktoren sind Interventionen im Coaching oder Ereignisse im Umfeld, die unter Umständen eine schädigende oder beeinträchtigende Wirkung auf die Zielerreichung oder die Persönlichkeit des Klienten haben. Wird z.B. nicht geklärt, ob die beauftragende Organisation neben der Unterstützung des Klienten noch eine Hidden Agenda verfolgt und auf das Misslingen des Coachings setzt, dann wird die Zielerreichung in Frage gestellt.

Das Konzept der Risikofaktoren ist ein relationales. Grundsätzlich kommt jeder Wirkfaktor auch als Risikofaktor in Frage, auf das Maß kommt es an. Eine überfürsorgliche Beziehung kann die Autonomie des Klienten beeinträchtigen, übertriebene Offenheit kann als Grenzüberschreitung aufgefasst werden.

Risikofaktoren können ihren Ursprung (a) in der Theorie und Ausbildung, (b) der Persönlichkeit oder dem Verhalten des Coachs, (c) der Persönlichkeit oder dem Verhalten des Klienten, oder (d) im Umfeld haben. Die genannten Kategorien sind natürlich nicht unabhängig voneinander. Ausbildungsmängel werden sich mit großer Wahrscheinlichkeit im Verhalten des Coachs fortpflanzen. Tritt eine ideologisch aufgeladene Coaching-Ausbildung in Interaktion mit entsprechenden Persönlichkeitsmerkmalen der Auszubildenden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für unangemessenes Verhalten des Coachs.

Nicht wenige Coaching-Theorien und Coaching-Ausbildungen beinhalten auch (gut gemeinte und) nach bestem Wissen und Gewissen formulierte Weltanschauungen. Die inhärenten Risiken von theoretischen Prämissen einzelner Schulen, wie zum Beispiel die Annahme der Möglichkeiten autonomen Handelns, werden oft ebenso wenig hinterfragt wie Selbstimmunisierungstendenzen von Theorien. Wenn ein Coach zur Aussage kommt, dass es Misserfolge nicht gäbe, weil jede Veränderung ein Erfolg und damit richtig sei, dann ist entweder während der Ausbildung oder in der individuellen Auslegung der theoretischen Prämissen etwas schief gegangen.

Mangelndes psychologisches oder medizinisches Wissen macht es Coaches schwer, psychische Störungen (z.B. narzisstische Persönlichkeiten) oder physische Krankheiten (z.B. hormonelle Störungen), die einen direkten Einfluss auf das Erleben und Verhalten von Menschen haben, zu erkennen. Die Behandlung des Stresserlebens im Coaching bei einer durch einen nicht erkannten Hypophysentumor verursachten Überproduktion von Cortisol trägt nichts zur Heilung bei, sondern verlängert die Krankheit.

Risiken, die in der Person und dem Verhalten des Coachs liegen, sind z.B. mangelnde Empathiefähigkeit, die Tendenz, professionelle Grenzen nicht einzuhalten oder die Neigung, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Eine unzureichende Klärung von Auftrag und Ziel sowie die mangelnde Zielorientierung stehen im Zusammenhang mit mäßiger Zielerreichung.

Ungünstige Voraussetzungen aufseiten der Klienten sind mangelnde Reflexions- und Introspektionsfähigkeiten sowie nicht erkannte Persönlichkeitsstörungen. Weiter werden in der Literatur Motivationsprobleme und Konsumentenhaltung genannt.

Weitere Risiken für den Misserfolg sind im Umfeld zu finden. Wird z.B. das Unternehmen verkauft, wird auch die Vorbereitung auf die neue, zugesagte Rolle hinfällig. Wenn der Vorgesetzte, mit dem der Klienten im Konflikt liegt, die Firma verlässt, verliert auch das hierfür genutzte Coaching seinen Anlass.

Wer ist von negativen Wirkungen betroffen?

Grundsätzlich können alle am Coaching Beteiligten von negativen Wirkungen betroffen sein: Der Klient, der Coach, die (beauftragende) Organisation, der Vorgesetzte, Kollegen sowie auch das private Umfeld. Verlässt der Klient unerwartet und entgegen der ursprünglichen Zielsetzung des Coachings die Organisation, trägt sie die Konsequenzen. Verändert der Firmeneigentümer sein Verhalten, sind alle Mitarbeiter, im Guten wie im Schlechten, davon betroffen.

Auf die Frage, bei wem unerwünschte Wirkungen auftreten, nannten von 132 befragten Coaches 13 Prozent das soziale Umfeld des Klienten, 17 Prozent den Klienten und 52 Prozent sich selbst. Misserfolge und Nebenwirkungen bleiben nicht folgenlos, auch nicht für die Coaches: Folgeaufträge bleiben aus, Gefühle von Traurigkeit und Verunsicherung tauchen auf. Ein Coach berichtete auch von Selbstabwertung.

Bemerkenswert ist, dass die Coaches durchaus auch vom positiven Potential von Schwierigkeiten erzählen. Mit mehr Distanz zum Geschehen wird von mehr Gelassenheit, Demut, mehr Freude an kleinen Schritten und bessere Nähe-Distanz-Regulierung berichtet.

Wie können negative Wirkungen erfasst werden?

Der Königsweg zur Erfassung von negativen Wirkungen sind standardmäßige Evaluationen, nicht nur am Ende, sondern auch einige Monate nach dem Coaching. Der Anfangsaufwand zur Implementierung von standardisierten Evaluationen ist meist erheblich. Schwierigkeiten liegen insbesondere in der Haltung des Coachs gegenüber der Evaluierung der eigenen Arbeit. Wenn der Coach nicht von der Evaluation überzeugt ist, wird auch der Nutzen daraus gering sein. Die Zukunft wird wohl in online-basierten Evaluationen, die Vergleichswerte mit anderen Coaches liefern können, liegen. Die Forschung im Coaching ist zudem soweit gediehen, dass recht verlässliche Ergebnisindikatoren zur Verfügung gestellt werden können.

Folgerungen

Wir wissen praktisch nichts über die Häufigkeit und das Ausmaß von negativen Wirkungen im Coaching und wenig über den Zusammenhang zwischen Risikofaktoren und den negativen Wirkungen. Negative Wirkungen zu negieren und Coaching zur nebenwirkungsfreien Zone zu erklären, oder sie auf „schwarze Schafe“ abzuschieben, greift zu kurz. Gerade auch sehr erfahrene und reflektierte Coaches berichten von eigenen Schwierigkeiten, Misserfolgen und Interventionen, die sie aus heutiger Sicht nicht mehr anwenden würden. Auch wenn sie vermutlich nicht häufig sind, gehören sie doch zum „courant normale“. Wer handelt, kann Fehler machen.

Zum Streben nach Professionalität gehören deshalb neben Sorgfaltspflicht und einer Klärung von Verantwortung und Zuständigkeit auch das Wissen über das Auftreten von und den Umgang mit Risikofaktoren, Nebenwirkungen und Misserfolgen zur Vermeidung von Schäden. Dieses Wissen ist im Coaching weder systematisch erfasst und noch viel weniger wird es gelehrt. Die fehlende Konzeption und Erfassung von negativen Wirkungen stellt darüber hinaus selbst ein Risiko dar, weil sie dazu beiträgt, Fehler nicht zu erkennen und damit fortzupflanzen. Zudem besteht die Gefahr, irrationale Mythen vom „immer erfolgreichen Coaching“ fortzusetzen.

Eine schwierige Frage wird sein, welcher Anteil eines Misserfolgs oder eines Schadens auf das Coaching und welcher auf Charakteristika des Klienten oder Umfeldeinflüße zurückzuführen ist. Coaching ist kein Produkt, das sich vermessen lässt wie eine Schraube. Es fehlt die „objektive Mitte“ zwischen den Beteiligten. Coaching-Ergebnisse sind immer Ko-Produktionen von Klienten, Coaches und weiteren Beteiligten.

Trotzdem ist es notwendig, über die negativen Wirkungen und über Verantwortung und Zuständigkeiten zu reden und sich festzulegen. Coaches und ihre Klienten sollten wissen, was die angebotene respektive in Anspruch genommene Beratung bewirken kann und was nicht. Alles andere ist Beliebigkeit. Diese hat weder für die Klienten noch die Beratenden orientierenden Charakter und verpasst damit einen Hauptzweck von Coaching, nämlich zu orientieren. Wenn Coaching für sich selbst nicht leisten kann, was es den Klienten verspricht, nämlich sich klar zu verorten, sind Zweifel angebracht.

Professionelles Coaching weiß um die eigenen Grenzen und Unzulänglichkeiten, anerkennt, dass Scheitern eine Option ist, und ist daher bereit, sich laufend mit seinen weniger erfreulichen Seiten auseinanderzusetzen. Zudem steckt in der Auseinandersetzung mit Misserfolgen, unerwünschten Nebenwirkungen, Schäden und Risiken immer auch ein Potential für die Entwicklung von Coaching.

Literatur

  • Busch, Ingrid & Lemme, Roswitha (1992). Schulenspezifische Unterschiede hinsichtlich der Einstellung der Therapeuten zur Wirkung von Psychotherapie? Diplomarbeit. Berlin: Technische Universität.
  • Leitner, Anton & Märtens, Michael (2012). Psychotherapie: Risiken, Nebenwirkungen und Schäden. Endbericht. Krems: Donau Universität.

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