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Führung

Die Führungskraft als Coach?

Pro- und Kontra-Argument

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 4 | 2011 am 22.11.2011

PRO

Führungskräfte müssen coachen

von Harald Korsten

Wie sonst sollen Arbeitspakete geschnürt, Einsätze geplant, Projekte gesteuert, Mitarbeitergespräche geführt werden? Es gibt Coaches, die Führungskräften dieses coachende Führungsverhalten absprechen. Deren Hauptargumente:

Chefs wollen manipulieren! Sie verfolgen handfeste Ziele und können daher nicht neutral sein. Sie missbrauchen Coaching, um Mitarbeitern „von hinten durch die Brust ins Auge“ eigene Ziele und Interessen unterzujubeln.

Was für ein verschnarchtes Vorurteil, oft kolportiert von Coaches außerhalb der freien Wirtschaft. Das ist natürlich indiskutabel. Chefs sollen Fähigkeiten von Mitarbeitern fördern und ihnen dadurch Selbstvertrauen und Rückhalt geben. Warum sollen sie dabei ihre eigenen beruflichen Ziele oder Zielvorgaben beiseitelegen? Wenn sie diese Ziele ihren Mitarbeitern transparent machen, was soll ihrem Coaching-Verhalten dann noch im Wege stehen?

Ohne Coaching-Ausbildung kein Coaching-Verständnis. Nur ausgebildete Coaches können das Kernanliegen sowie die Kernelemente und -systematik verstehen und korrekt verwenden.

Wer wissen will, welche Erwartungen, Befürchtungen, Pläne, Ziele und Bedarfe Mitarbeiter haben, der hört aufmerksam zu, stellt viele offene Fragen, fragt nach, fasst gelegentlich zusammen. Diese Elemente des „kooperativen Führungsstils“ seit 1991 auch als Coaching-Kernelemente bezeichnet, sollen nur ausgebildeten Coaches vorbehalten sein? Wir wissen doch, womit viele Chefs über 60 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen: Mit Kontrollaufgaben. Sollen Führungskräfte etwa nur Ratschläge und Anweisungen geben? Und damit ent-verantworten und demotivieren?

Hilfe zur Selbsthilfe bewirkt, dass Ziele, Lösungen und Maßnahmen selbst erarbeitet werden. Das ist auch das Coaching-Kernanliegen. Wer selbst Erarbeitetes umsetzt, ist schlicht engagierter bei der Sache. Die Systematik eines Fördergesprächs lautet: Was wollen Sie bis wann erreichen, wenn Sie das Problem anpacken (Ziel)? Wie wollen Sie Ihr Ziel erreichen (Lösungsideen)? Was werden Sie tun, um Ihre Lösung konkret umzusetzen (Maßnahmen)? Diese Unterscheidung ist auch Moderatoren-Grundwissen, ist Basis der Projektarbeit und, seit 1991, die Kernsystematik im Coaching-Gespräch.

Entweder – oder: Chefs dürfen sich keine Versatzstücke aus dem Coaching herauspicken und anwenden, weil sonst die professionelle Coaching-Kompetenz zerfasert wird.

Doch, das dürfen Chefs. Das müssen sie sogar. Förderndes Führen ist dringend notwendig, wie zum Beispiel der Gallup-„Engagement Index 2010“ aufzeigt: 13 Prozent der Beschäftigten in Deutschland sind emotional an ihr Unternehmen gebunden. 66 Prozent machen teilnahmslosen Dienst nach Vorschrift. 21 Prozent verhalten sich destruktiv. Schaden: etwa 123 Mrd. Euro jährlich.

Was bleibt für Coaches? Sehr viel, in unterschiedlichen Formaten bis hin zum virtuellen Transfer-Coaching. Mit zahlreichen Schnittstellen zur fördernden Führung. Diese gilt es zu nutzen, statt abgrenzungshysterisch und mit trotzigem (G)Eifer weitere Gräben auszuheben: Wer, wenn nicht fördernde Chefs, wissen, wann ihre Grenzen erreicht sind und ein Coach her muss? Sie wissen es zu schätzen, selbst gecoacht zu werden. Sie ermuntern Kollegen und Mitarbeiter, mit Coaches zu arbeiten.

Pseudotherapeutische Allüren schrecken allerdings ab: Imponiersprachliche Eskapaden in Coaching-Angeboten wie „systemisch-ganzheitlich“, „daseinstheoretisch“, „wirkelementarisch“, „tiefenpsychologisch“ oder gar „reflexionsauthentisch“ laden eher zu Vermutungen über die Reflexionsfähigkeit der Anbieter ein. Zur Verwirrung tragen auch „Coaches“ bei, die sich beharrlich als Mentoren, Lehrer und Vorbilder bezeichnen.

Coaching-Entwertung: Wer „Coaching-Verhalten“ grundsätzlich Führungsverhalten nennt, der profaniert Coaching – wozu Coaches, wenn Chefs das auch alles (lernen) können? Das befeuert auch den Irrtum, mit Checklisten, Persönlichkeitsanalysetools und so weiter Menschen bewerten zu können. Diese Variante einer Dolchstoß- und Nestbeschmutzerlegende gibt Gelegenheit zum Fazit:

  1. Führungskräften Coaching-Verhalten abzusprechen, ist Unfug.
  2. Coaching-Verhalten ist eine Selbstverständlichkeit für fördernde Chefs.
  3. Professionellen Coaches steht ein riesiges Betätigungsfeld offen.
  4. Fördernde Chefs sind genau diejenigen, die dem Tool-Wahn nicht verfallen! 
  5. Coaches ohne Abgrenzungsallüren wissen, dass fördernde Chefs ihre Hauptverbündeten sind.

KONTRA

Die Führungskraft ist kein Coach

von Günter Mohr

Die Führungskraft sollte man nicht Coach nennen. Fünf Argumente:

  1. Rollenkonflikt: Die zentrale Aufgabe des Vorgesetzten ist die Leistungsmanagerrolle. Hinzu kommt eine weitere, die seit den 1990er-Jahren zunehmend wichtiger geworden ist: Veränderungsmanager. Dadurch kann die Situation auftreten, dass die Führungskraft mit einem leistungsschwächeren Mitarbeiter optimistisch ein Coaching beginnt und so die Leistungsmanagerrolle durch eine, die tieferen persönlichen Ressourcen des Mitarbeiters ansprechende und ermutigende Beziehungsaufnahme ergänzt. In der nächsten Woche erhält sie den Auftrag, innerhalb einer Restrukturierung ihr Personal auf 80 Prozent zu reduzieren und dafür leistungsschwächere Mitarbeiter für Trennungsgespräche zu benennen. Es wird sofort offensichtlich, in welches Dilemma die Führungskraft gerät – Coach oder Vorgesetzter? – und in welche Vertrauenskrise bezüglich unterstützender Beziehungen man dadurch vielleicht den Mitarbeiter stürzt. 
     
  2. Entprofessionalisierung: Normalerweise haben Coaches eine mindestens dreijährige Coaching-Weiterbildung absolviert sowie eine mindestens fünfjährige Coaching-Erfahrung vorzuweisen, was wiederum die Durchführung einer größeren Anzahl von Coachings pro Jahr beinhaltet. Entsprechende Anforderungen stellt beispielsweise der Deutsche Bundesverband Coaching für die Akkreditierung als „Coach DBVC“. Dies kann eine Führungskraft selten vorweisen, weil ihr beruflicher Schwerpunkt einfach ein anderer ist. Sie coachen, wenn überhaupt, nebenbei. „Gute Gespräche“, die man ansonsten führt, werden zwar gerne als Coaching-Erfahrung tituliert, sind aber ohne die entsprechend vereinbarten Rahmenbedingungen des Coachings nur per Zufall wirksam. 
     
  3. Verschenkte Chancen: Coaching wird, wenn man Führungskräfte zum Coach umdefiniert, nicht mehr als hochwertige Dienstleistung definiert. Neulich hatte ich die Situation, dass man mir innerhalb eines Unternehmens von einer schwierigen Situation eines Mitarbeiters berichtete. Man fügte gleich hinzu, gecoacht sei der auch schon worden. Ich fragte nach, was das hieße, und bekam zur Antwort, dass der Mitarbeiter von seiner Führungskraft, die auch eine interne Coaching-Ausbildung genossen hatte, schon gecoacht worden sei. Ich kannte und schätzte diese Führungskraft, war mir aber sicher, dass hier zwar eine gutgemeinte Unterstützung, aber kein fundiertes Coaching stattgefunden haben konnte. Schade, dachte ich, so begibt man sich um eine wichtige Hilfsmöglichkeit. 
     
  4. Spezialisten- statt Generalisten-Job: Was viele Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern im guten Führungsgespräch tun, ist noch lange kein Coaching. Im Coaching wird ein breites Spektrum persönlicher Kontexte für berufsbezogene persönliche Fragestellungen kompetent genutzt. Dies beginnt bei Fragen des Betriebsalltags, geht über Fragen der gesunden Lebensbalance bis hin zur Wahrnehmung und Prävention von Grenzsituationen. Der Coach hat dafür eine integrierte Kompetenz in Diagnostik und Persönlichkeitsentwicklung entwickelt, fußend auf entsprechender langjähriger persönlicher Selbsterfahrung. Dies kann, sollte und braucht eine Führungskraft nicht zu leisten. Dafür gibt es Spezialisten. 
     
  5. Konzeptkompetenz: Zum Coaching gehört die Fähigkeit, das, was man tut, in der Sprache der Psychologie oder Pädagogik auch in Worte fassen und konzeptionell durchdenken zu können. Viele der Entscheidungen im kommunikativen Bereich fällen Führungskräfte aus dem Bauch heraus. Zugegeben, Intuition als die blitzschnelle Realisierung von lange Gelerntem, ohne dass man weiß, wo es herkommt, ist eine wichtige Fähigkeit. Eine mittelalte Führungskraft ist heute vier- bis fünfmal mit dem Vier-Ohren-Modell (Schulz von Thun) beschult worden. Auf Nachfrage bringen sie es dann aber kaum mehr zusammen. 
     

Man tut den Führungskräften nichts Gutes, wenn man sie mit der Rolle des Coachs überfordert. Vielleicht fühlen sich nicht wenige dadurch geschmeichelt, da die mit der Rolle assoziierte Kompetenz zu Projektionen einlädt. Aber man sollte den Rettungswagenchauffeur auch nicht Arzt spielen lassen. Dass Coaching als Profession noch nicht geschützt ist wie etwa der Psychotherapeut, verwischt hier die wirklichen Kompetenzanforderungen für Coaches. Dazu tragen leider auch manche Ausbildungsinstitute bei, die nicht immer sauber proklamieren, dass sie lediglich in Coaching weiter-, und nicht ausbilden.

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