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Beruf Coach

Coaching nur für die oberen Ränge?

Pro- und Kontra-Argumente

7 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2012 am 22.02.2012

PRO

Die Ressource sparsam und gezielt nutzen

von Michael Krato

Im Idealfall tragen alle Beschäftigen durch ihr Wirken zum wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung bei. Insoweit sollte die Unternehmensführung natürlich daran interessiert sein, allen „Mitwirkenden“ Hilfe und Unterstützung, zum Beispiel in Form eines Coachings oder eines Trainings, angedeihen zu lassen, um den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern. Diese Entscheidung wird allerdings immer unter dem Kosten-Nutzen Aspekt getroffen.

Coaching ist eine für die Unternehmen teure Angelegenheit – mit ungewissem Ausgang. Ungewiss deshalb, weil Einstellungen, Hintergründe und Glaubenssätze des Klienten zu Beginn eines Coachings noch nicht bekannt sind, also auch nicht ganz klar ist, ob Coaching die richtige Maßnahme für den Betroffenen darstellt. Daher muss zunächst abgeklärt werden, ob Coaching die beste Intervention darstellt, oder ob nicht eine andere Intervention (beispielsweise ein Training) zielführender ist. Diese Klärung betrifft grundsätzlich alle Mitarbeiter – vom Lagerarbeiter bis zum Geschäftsführer.

Führungskräfte bewegen sich meiner Ansicht nach aber in einer wesentlich komplexeren Welt als Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung. Neben den fachlichen Kompetenzen (abhängig von der Berichtsebene), werden den Führungskräften in weit umfänglicherer Weise zusätzlich sozial-ethische, methodische, kommunikative und strategische Kompetenzen abverlangt als vergleichsweise den Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung. Führungskräfte stehen einfach durch ihre Position in der Verantwortung und damit im Fokus.

Nun kann man begründet davon ausgehen, dass Führungskräfte im Verlauf ihrer Karriere weit mehr als das „Kleine Einmaleins“ der Führung gelernt haben. Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, verlangen zumeist mehr als Standardlösungen wie man sie zumeist in Führungstrainings lernen kann. Sie betreffen auch ganz andere Themen als sie der normale Sachbearbeiter hat. Und die Tragweite der Entscheidungen, die eine Top-Führungskraft verantwortet, reichen über den Tellerrand des Sachbearbeiters deutlich hinaus.

Durch die Interaktion einer Führungskraft sind zudem meist, je nach Führungsspanne, eine Vielzahl von Personen betroffen, was die Dringlichkeit des Handelns seitens des Unternehmens bei „Problemen“ dieser Führungskraft verschärft. Die betroffene Führungskraft kann relativ großen wirtschaftlichen und emotionalen Schaden durch Handeln oder eben Nicht-Handeln verursachen. Um diesen wirtschaftlichen oder emotionalen Schaden so gering wie möglich zu halten – das mag man Risiko-Management nennen – geben Unternehmen in solchen Fällen auch mehr Geld aus, um der Führungskraft schnell, manchmal auch über einen längeren Zeitraum hinweg, helfen zu können. Der Fall für das Coaching, der glücklicherweise sehr viel häufiger vorkommt, ist die Begleitung von Führungskräften, die neu im Unternehmen oder neu in ihrer Aufgabe als Führungskraft sind. Oder aber Führungskräfte, die Konflikte zwischen zwei Mitarbeitern auflösen wollen. Auch hier ist offensichtlich, welchen langen Hebel sie zu bewegen haben und welche Kosten daran hängen. Der Aufwand Coaching steht in Relation zum erwarteten Nutzen. Deshalb ist Coaching für Führungskräfte oft eher angezeigt als für „normale“ Mitarbeiter. Es wird sich mittelfristig betrachtet auf die Ebene Führungskräfte und eventuell Mitarbeiter in Spezialistenfunktionen beschränken.

Dabei kann ich für BAUR sagen, dass nicht nur „Häuptlinge“ für ein Coaching infrage kommen, sondern dass Coaching über alle Führungsebenen hinweg eingesetzt wird. Für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung bieten wir zwar explizit keine Einzel-Coachings an, wir arbeiten in diesem Bereich aber mit sogenannten Kleingruppen-Coachings zu unterschiedlichen Themenfeldern. Diese Kleingruppen bestehen aus maximal vier Teilnehmern. Das ist meiner Ansicht nach nicht nur wirtschaftlich vertretbar, wir haben damit auch sehr gute Erfahrungen bei der Entwicklung der Change-Kompetenz und des Lerntransfers gemacht.

KONTRA

Keine Zwei-Klassen-Gesellschaft!

von Christiane Wittig

Für die „normalen“ Mitarbeiter gibt es das Standard-Weiterbildungsprogramm. Den Führungskräften werden Spezialangebote offeriert – exklusiv per Mail. Warum? Haben anspruchsvolle Maßnahmen nur Führungskräfte verdient? Das wäre am Beispiel einer Fußballmannschaft so, als ob man nur dem Kapitän einen Coach zur Seite stellen würde – der Rest der Mannschaft muss ohne auskommen. Seltsam, nicht wahr? Schießen nur Kapitäne Tore? Sind es nicht auch andere Mannschaftsspieler? Und selbst wenn sie selbst keine Tore schießen, bereiten sie mit ihrem Passspiel nicht den Spielaufbau vor, um genau das zu ermöglichen? Wehren sie vor dem heimischen Tor nicht Angriffe ab?

Warum wird in unseren Unternehmen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gepflegt? Da ist es nicht verwunderlich, wenn Mitarbeiter erst gar nicht auf die Idee kommen oder sich nicht trauen, nach einem Coaching zu fragen. Oft wissen sie auch gar nicht, dass die Möglichkeit besteht.

Sind es die Themen? In Zeiten der dramatischen Zunahme von Burn-out schaffen es die Arbeitnehmer – nicht nur die Top-Führungskräfte – oft nicht allein, aus dem Hamsterrad auszusteigen. Deshalb ist es absolut unverständlich, wenn nur die Führungsriege die benötigte Unterstützung bekommt. Haben Sachbearbeiter etwa keinen Stress? Sind nicht gerade sie der zunehmenden Informationsflut ausgeliefert? Und müssen nicht besonders sie erst lernen, Prioritäten zu setzen und „Nein“ zu sagen?

Ab welchem Rang gehört man dazu? Was ist mit der mittleren und unteren Führungsebene, die zwischen den Fronten von oben und unten aufgerieben wird? Spricht man hier nicht von der Sandwich-Position? Wie viel würde gerade dort ein Coaching bewirken? Die „Indianer“ sollen selber klar kommen. Interessanterweise gibt es hierzu eine Analogie auf Coach-Seite: Kennen Sie etwa einen Coach, der nicht von sich behaupten würde, „nur“ Top-Führungskräfte zu coachen? Hand aufs Herz – so viel Top-Executives kann es doch gar nicht geben.

Ist es eine Imagefrage? Was befürchten Unternehmen, wenn Sie „einfachen“ Mitarbeitern ein Coaching gewähren sollen? Eine Anspruchsinflation? Will man im Wording „den Ball flach halten“? Warum werden die Weiterbildungsangebote fürs „Fußvolk“ von Trainern durchgeführt? Heißt das, man bekommt nur Ware von der Stange? Nach dem Motto: Das muss reichen? Reicht aber nicht immer. Schlaue Trainer haben das längst erkannt und binden Coaching-Elemente ein, um den Teilnehmern individuelle Hilfestellung geben zu können. Das darf dann in den Unternehmen aber auf keinen Fall „Coaching“ genannt werden! Sondern „Training on the Job“ oder persönliche Beratung, individuelle Unterstützung und so weiter.

Ist es „nur“ eine Kostenfrage? Oder lügt man sich selbst in die Tasche? Es ist doch eine Milchmädchenrechnung, 20 Mitarbeiter in ein Training zu schicken, dessen Transferstärke begrenzt ist und dessen Umsetzungsgrad überschaubar ist. Wie viel mehr würde es bringen, wenn der Mitarbeiter durch ein Coaching innerhalb kurzer Zeit befähigt wird, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und seine Ressourcen optimal zu nutzen.

Einige Unternehmen bilden interne Coaches aus, die ihre Kollegen – meist die ohne Führungsverantwortung – unterstützen. Besonders in Bereichen der Work-Life-Balance, Karriereplanung, Zeit- und Selbstmanagement und Arbeitsorganisation kommen diese zum Einsatz. Ohne die Leistungen der internen Coaches schmälern zu wollen, ist es doch fraglich, ob hierbei eventuell tiefer liegende Probleme erkannt und gegebenenfalls angesprochen werden können. Der interne Coach arbeitet für denselben Arbeitgeber. Ob man sich da immer öffnen mag? Die Chefetage sucht sich den Coach extern. Hier wird das Argument einer betrieblichen Befangenheit plötzlich ernst genommen.

Warum bekommt nicht einfach derjenige ein Coaching, der es braucht oder will? Erfahrungsgemäß stärkt ein Coaching die persönliche Bindung an das Unternehmen. Der Mitarbeiter erfährt Wertschätzung, fühlt sich wahrgenommen, akzeptiert und unterstützt. Man sollte sich entscheiden, ob man grundsätzlich eine Coaching-Kultur pflegen möchte. Oder Business as usual betreiben. Die Mitarbeiter sind ja nicht dumm. Sie bemerken die Ungleichbehandlung. Ärger und Neid machen sich so breit. Daran ändert auch die hübsche Sprachverpackung nichts.

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