Beruf Coach

Coaching mit oder ohne Ratschlag?

Pro- und Kontra-Argumente

5 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2008 am 26.02.2008

Pro

„Selektive Direktivität“ als Interaktionsstil

von Dr. Astrid Schreyögg

Die Frage, wie direktiv darf oder soll der Coach sein, spricht letztlich ein Rollenkontinuum des Coachs an. Im DBVC-Kompendium „Coaching als Profession“ haben wir uns Bezug nehmend auf das „Funktionspendel“ von Ulrike Wolff darauf festgelegt, die Funktionen des Coachs auf einem Kontinuum zwischen „Therapeut“ als dem einen und „Schattenmanager und Experte“ als dem anderen Extrem zu sehen. Es macht die besondere Qualifikation eines Coachs aus, wenn er mit hoher personen-, themen- und situationsspezifischer Variabilität zwischen diesen Polen agieren kann.

Die Frage des Interaktionsstils berührt allerdings auch die Schulenanbindung eines Coachs oder insgesamt sein berufliches Selbstverständnis. Die methodische Basis von Coaching ist – wie auch bei Supervision oder Therapie – professionelle Gesprächsführung. Im Anschluss an die Psychoanalyse oder die Gesprächspsychotherapie impliziert das eher non-direktive Interaktionsformen. Wenn der Klient sein Anliegen vorbringt und der Coach ihm hilft, sein Problem einzukreisen, sind non-direktive Gesprächsformen fraglos die Methode der Wahl. Das ist allerdings immer nur der Anfang (!) eines Gesprächs.

Üblicherweise kommt anschließend eine komplexe berufliche Interaktion oder organisatorische Situationen in den Blick, die der Klient zu erfassen oder auch zu verändern wünscht. Dann ist es sinnvoll, dem Klienten methodische Zugänge vorzuschlagen, die nicht mehr rein non-direktiv sind. Hier bieten sich Methoden und Techniken aus Verfahren wie der Gestalttherapie und dem Psychodrama an. Diese Verfahren erfordern eine extrem sensible Variation zwischen Direktivität und Non-Direktivität. Der Coach wird sich hier in die Rolle einer „Hebamme“ begeben, die einmal sanft die eigene Dynamik des Klienten hervorlockt, die andererseits aber auch anfeuert und sogar pusht, dass das Baby – in unserem Fall: der Fortschritt des Klienten – „geboren“ werden kann.

Geht es bei der Fragestellung des Klienten um mikropolitische Prozesse, hat der Coach, der auf Non-Direktivität besteht, eigentlich schon verloren. Für solche Fragestellungen braucht er Medien wie einen Inszenario-Kasten, mit denen er dann komplexe organisatorische Bezüge mit dem Klienten rekonstruieren kann. Erst auf diese Weise bekommt man nämlich Anschluss an das, was der Klient aus seiner Organisation mitteilen möchte.

Beim Executive-Coaching geht ein Klient zudem mit Recht davon aus, dass der Coach über Wissen im Bereich Management verfügt, dass er ihn zu bestimmten Anlässen etwa bei Führungs- oder Organisationsthemen auch als Experten bemühen kann, wenn er sich eben hier und da Rat holen möchte. Viele Spezialisten wie Ingenieure oder Politologen übernehmen heute eine Führungsposition, für die sie nicht vorbereitet worden sind. Viele von ihnen kommen dann ins Coaching, um sich für diesen neuen Beruf des Managers Unterstützung zu holen.

Coaching ist nicht nur Prozessbegleitung. „Sie bezahlen mich nicht fürs Schweigen“, versuche ich in Coaching-Ausbildungen gelegentlich diesen Umstand auf den Punkt zu bringen.

Kontra

Beratung ohne Ratschlag

von Dr. Sonja Radatz

Mit Beratung ohne Ratschlag meine ich, dass der Coach keine Antworten gibt, sondern konsequent Fragen stellt. Was natürlich nicht bedeutet, dass der Coach nicht beeinflussend und richtungsgebend im Gespräch wirken würde: Ich behaupte ja, dass wir bereits das Gespräch beeinflussen, noch bevor wir ein Wort gesagt haben. Wir können also so gesehen von uns aus nicht nicht beeinflussen und gleichzeitig wissen wir nicht, ob wir aus Sicht des anderen beeinflussend im Gespräch wirken, denn das entscheidet ja aus meiner Sicht regelmäßig unser Gegenüber, der Coachee. Und genau der ist es auch, der entscheidet, was für ihn im Coaching-Gespräch hilfreich ist und was nicht. Und ab wann das Problem aus seiner Sicht gelöst ist.

Auf den Punkt gebracht: Im Coaching sollten wir es schaffen, dass der Coachee von sich aus seinen bisherigen Denkrahmen in Frage stellt. Was ihm in der Folge ermöglicht, eine andere Perspektive zum anstehenden Thema einzunehmen und eine Lösung zu finden, die zu dem passt, wie er „gestrickt“ ist. Und was böte sich zum Infragestellen besser an als Fragen? Natürlich nicht gewöhnliche Fragen, wie wir sie von Kindesbeinen an gewohnt sind, zu stellen. Sondern meisterhaft formulierte interrelationale Fragen: offene, zukunftsorientierte Denkfragen, die nach einem anderen potenziellen Tun des Coachees fragen.

Dabei streite ich nicht ab, dass nicht auch Ratschläge für den Coachee eine hilfreiche Störung darstellen können. Auch Naserümpfen oder eine gymnastische Übung oder eine übertreibende Provokation (wie etwa bei Farelly) könnten als hilfreich erlebt werden. Aber für Fragen sprechen aus meiner Sicht drei Entscheidungskriterien:

  • Erstens „beamen“ sie den Coachee äußerst rasch und effizient in seine Lösungswelt. Beratung ohne Ratschlag ist nun einmal deshalb so unglaublich attraktiv, weil jedes Problem vom Coachee in einer bis anderthalb Stunden Coaching komplett gelöst werde kann.
  • Zweitens zapfen wir mit Fragen die Lösungs-Eigenkompetenz des Coachees auf eine unvergleichliche Art und Weise an. Was bedeutet, dass dieser zu jedem späteren Zeitpunkt entsprechend hilfreiche Fragen auch sich selbst stellen und damit ins Eigen-Coaching übergehen kann.
  • Und drittens vermeiden wir mit Fragen ein Gerangel um „Rechthaberei“ zwischen Coach und Coachee: Wenn der Coach Fragen stellt und der Coachee die Antworten formuliert, sind die Aufgaben klar verteilt. Dann kommt auch nie die Idee auf, dass der Coach die Dinge „klarer“ oder „besser“ sehen kann als der Coachee. Denn damit hätten wir die Pointe wohl komplett verpasst.

Der Coach sieht nicht „mehr“ oder „besser“. Er sieht aus meiner Sicht ganz einfach etwas anderes. Und das könnte für den Coachee, wie ich häufig in der Praxis erlebe, sehr unpassend sein.

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