Nach oben

Kontrovers

Die Selbstregulierung der Coaching-Branche

Die Arbeit eines Sachverständigenrates als Antwort auf „Bad Practice“

Knebelverträge, unseriöse Praktiken oder fragwürdiger Methodeneinsatz: In der Coaching-Branche gibt es schwarze Schafe. Es stellt sich die Frage, wie mit Missständen umgegangen und Professionalisierung gefördert werden kann. Eine Möglichkeit: die staatliche Anerkennung des Coaching-Berufs samt Definition dessen, was unter Coaching zu verstehen ist. Eine andere: die Selbstregulierung der Branche, z.B. vorangetrieben durch einen Sachverständigenrat. Wie dessen Arbeit aussehen kann, welche Widerstände zu überwinden sind und welche Eigenschaften es hierfür braucht, skizziert vorliegender Artikel.

9 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 1 | 2016 am 24.02.2016

Der Deutsche Bundesverband Coaching e.V. (DBVC) engagiert sich seit seiner Gründung für die Qualität und Förderung von Business-Coaching und Leadership. Hierfür etablierte er u.a. wichtige Gremien, z.B. die Qualitätskonferenz und den Sachverständigenrat (SVR). Als Leiter des Letzteren will der Autor einige Antworten auf schlechte Praktiken geben und darstellen, welche Eigenschaften die Voraussetzungen effektiver SVR-Arbeit bilden.

Effektive SVR-Arbeit

Als Verantwortlicher eines Business-Coaching-Ausbildung anbietenden Unternehmens begegnet man schnell Fehlentwicklungen der Coaching-Praxis. Entweder man erklärt, was man für richtig hält, oder man gibt sich vornehm und bedeckt. Faselt etwas von „Alles ist möglich“ oder neuer (Un-)Bescheidenheit. Wettbewerber – das Wort Konkurrenten ist der Zensur der Branche zum Opfer gefallen – gibt es ohnehin nicht, denn die Kollegen sind alle „Freunde“.

Als SVR hat man es schwerer. Ohne im Besitz der einen Wahrheit zu sein oder ohne sie durchsetzen zu wollen, müssen trotzdem Grenzen gezogen werden. Ein SVR kann nicht das hohe Lied des Eklektizismus und des „Anything goes“ singen. Eine Lösung besteht darin, das, was nicht geht, festzulegen, um von den Rändern her eine Definition vom State of the Art zu erhalten. Es ist wie bei einer Teigbearbeitung: Man holt die am Rand befindlichen Teile zurück, um sie ins Zentrum des Teiges zu drücken.

Letztlich operiert auch der Gesetzgeber vergleichbar. Insbesondere im Strafrecht wird bestimmt, was verboten ist, der Rest ist erlaubt. Vereinfacht formuliert: Es handelt sich um eine Leitplankenbegrenzung. Um diese Methode zu praktizieren, müssen die Mitglieder des SVR jedoch einige Bedingungen erfüllen.

Sachverständige müssen etwas von der Sache verstehen

Vermutlich dies dürfte der tiefere Sinn gewesen sein, als man sich seitens des Vorstandes des DBVC entschloss, den SVR zu berufen und die Mitglieder nicht wählen zu lassen. In Anbetracht der Komplexität, der großen Breite an Ausgestaltungsmöglichkeiten und der ungeheuren Möglichkeiten, neue Heilslehren zu verkaufen, wird der SVR immer zu spät kommen.

Die Ehrenamtlichkeit und die schiere Datenmenge erlauben es nicht, als ständig optimierte und aktualisierte Festplatte herumzuwandern. Aber mindestens jenes Überblickswissen, das Fehlendes erkennen lässt, muss vorausgesetzt werden. Die Bereitschaft, Wissenslücken zu schließen, kann ebenfalls erwartet werden. Dies erfordert eine nicht unerhebliche Investition von Zeit.

Es braucht Mut

Es braucht Mut und Kommunikationsbereitschaft, um Missstände beurteilen zu können, und die Bereitschaft, sie zu benennen. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht:

Der Leiter des SVR erhält Kenntnis davon, dass ein Anbieter einer Coaching-Ausbildung durchgehend mit Knebelverträgen operiert. Es handelt sich um keinen Einzelfall, sondern um den Standardvertrag. In dem sogenannten „Fall von Bedeutung“ diskutieren mindestens zwei der SVR-Mitglieder die Fakten und kommen zur gemeinsamen Einschätzung: Es handelt sich um Knebelverträge. Leider betrifft es nicht einen beliebigen Anbieter, sondern ein Mitglied des DBVC, das mit hohen Weihen versehen ist. Es ist ein bekanntes und streitbares Mitglied. Der SVR geht seiner Pflicht nach, er handelt gemäß der mit dem Vorstand abgestimmten Vorgehensweise.

Nehmen wir einmal an, danach passiert nichts. Es gibt weiterhin die kritisierten Knebelverträge. Wie immer man das Beispiel im Detail weiterschreibt, es braucht Mut, sich unbeliebt zu machen. Auch wenn jeder Satz politisch korrekt, wertschätzend und Anerkennung verstreuend durch Mitglieder des SVR formuliert wird, bleibt Kommunikation riskant.

Der SVR könnte die Information über Knebelverträge aufgrund eines kurzfristigen Blackouts nicht wahrnehmen, so entkäme man bedingt durch den neurologischen Ausfall der riskanten Entscheidung. Leider würde auch dies nicht funktionieren. Die Benachteiligten und weitere Beobachter würden recht schnell zur Erkenntnis kommen, der SVR handelt nicht und ist somit keine Hilfe – oder er drückt bei den eigenen Leuten beide Augen zu.

Gelassenheit

Eine ganz andere Voraussetzung, die SVR-Mitglieder erfüllen müssen, ist Gelassenheit. Auch hierzu ein kleines Beispiel:

Der Kunde eines Coachs und Coaching-Ausbilders wendet sich an den SVR. Weder der Anrufer noch das Coaching-Unternehmen sind DBVC-Mitglieder. Das Geschäftsmodell des Anbieters besagt, um für die Coaching-Ausbildung zugelassen zu werden, müssen mindestens zwanzig eigene Coaching-Stunden absolviert werden. Dies ist zunächst nicht kritikwürdig, immerhin gibt es die Vorschaltung von einer Art Selbsterfahrung auch bei seriösen Coaching-Anbietern und angesehenen Therapieanbietern.

Im vorliegenden Fall werden drei Levels (Bezeichnungen vom Autor geändert) angeboten. Es beginnt mit Meister-Coaching, gefolgt von Exzellenz-Coaching, und die Krönung ist das VIP-Coaching (Abholung mit dem Hubschrauber ist möglich). Eine Stunde Exzellenz-Coaching kostet 400 Euro, nur übertroffen vom VIP-Coaching für 650 Euro die Stunde. Meister-Coaching zu 250 Euro wird zwar angeboten, aber für die Ausbildung würde dieses nicht anerkannt. Bevor man sich für VIP- oder Exzellenz-Coaching entscheiden darf, muss man bereits im Vorfeld ein Drittel des Ausbildungspreises bezahlen.

Nun, unser Klagender hat bezahlt und will endlich mit den höheren Weihen beginnen. Leider waren die Exzellenz-Coaches auf unabsehbare Zeit ausgebucht. Nur die Inhaberin hatte noch einige Termine frei. Sie ist allerdings selbstverständlich nur für VIP-Coaching für 650 Euro buchbar. Großzügigerweise ist die Abholung via Helikopter keine Pflicht, die Flugkosten kann man sich daher sparen. Die Dame kann online betrachtet werden, wobei die sehr schönen, professionellen Fotos vielmehr an Automobilausstellungen erinnern, wo die teuren Modelle durch schöne Frauen geschmückt werden.

Es gibt viele vergleichbare Geschichten, die man als SVR-Mitglied erfährt. Die Mitglieder des SVR brauchen daher große Gelassenheit, um nicht nach dem Gesetzgeber zu rufen. Aber wollen wir den amtlichen Coaching-TÜV mit hoher Prüfgebühr und Plakette am Anzug wirklich haben?

Coaching-TÜV – nein danke!

Staatlich geprüft, in Folge als Beruf anerkannt und selbstverständlich regelmäßig kontrolliert, da gäbe es vielleicht weniger schwarze Schafe. Der Ruf nach staatlicher Kontrolle und Anerkennung würde jedoch mit Freiheit bezahlt. Zudem bleibt festzustellen, dass auch Berufsfelder, die bereits staatlichen Kontrollen unterliegen, nicht gänzlich frei von schwarzen Schafen sind.

Die Kunst besteht darin, Zustände zu kritisieren, zum Inhalt von Kommunikation zu machen, aber keine Geister zu rufen, die man nie mehr loswürde. Es ist erfreulich, dass alle Kolleginnen und Kollegen bisher keinerlei Neigung entwickelt haben, einen SVR-Kontrolldienst einzurichten.

Ist der SVR neutral?

Die Frage muss mit einem deutlichen Ja und einem ebenso deutlichen Nein beantwortet werden! Der SVR ist ein Organ des DBVC und ist somit eingebunden in den Verband. Dieser stellt dem SVR, wie allen Gremien, einen Betrag zur Auslagenerstattung sowie Sitz im Präsidium und alle möglichen Formen von Unterstützung zur Verfügung.

Der SVR arbeitet eigenverantwortlich, die Mitglieder sind in ihrer Entscheidung frei. Sind Mitglieder des DBVC betroffen, erteilt der Vorstand an den SVR das Mandat. Konsequenterweise erhält der Vorstand den Abschlussbericht. Wenn es sich um DBVC-fremde Vorgänge handelt, kann der SVR alleine entscheiden, ob er tätig wird, und er wird dann nach dem Abschluss der Angelegenheit den Vorstand informieren.

Es wird deutlich, als Gremium des DBVC ist der SVR eingebunden und dem relevanten Kulturprogramm verpflichtet. Als Sachverständiger ist jedes Mitglied nur seinem Wissen und den Regeln der Kunst verpflichtet. Dass eine solche Zwitterstellung tendenziell zur Kritik einlädt, ist evident. Auch hier ist Gelassenheit angebracht, Sachverständige sind nicht dazu da, geliebt zu werden, sondern etwas von der Sache zu verstehen.

Eine Analogie

In anderen Kulturen gibt es Instanzen wie den Ältestenrat oder auch einen Rat der Weisen. In der heutigen komplexen Welt, in der es oft sehr viele valide Beschreibungsmöglichkeiten gibt, ohne dass wir nur die eine richtige kennen, sind Gerichte schnell überfordert und greifen auf Sachverständige zu.

Ein Beispiel aus dem Verkehrsrecht: Ein komplexer Verkehrsunfall mit Personen- und Sachschaden ist für einen Richter ohne entsprechende Sachkenntnisse kaum valide zu beurteilen. In Folge werden Sachverständige quasi als von der Sache Verstehende für das Gericht herangezogen.

Der Sachverständigenrat – und hier ist die Analogie passend – spricht kein Recht, agiert nicht operativ, sondern berät und stellt sein vertieftes Sachwissen zur Verfügung. Dies kann den Vorstand, ein anderes DBVC-Gremium, aber auch Mitglieder oder andere Personen, die einen entsprechenden Bedarf haben, betreffen.

Einige Beispiele bisheriger Anfragen:

  • Vertragliche Fragen (z.B. Knebelverträge, Zahlungsbedingungen)

  • Fragen der Methodenkompetenz (z.B. esoterische oder sektenähnliche Praxis)

  • Nicht einhaltbare Leistungszusagen (O-Ton: „Sie finden heute Abend Ihren neuen Beruf!“)

  • Abgabe von Empfehlungen » Tätigkeit als Sachverständiger im Rahmen juristischer Auseinandersetzungen

  • Suche nach Lösungen im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen

Ein kurzer, einstweiliger Ausblick: Business-Coaching operiert im Modus von Kommunikation. Der SVR ist bemüht, sich durch kommunikative Kompetenz einzumischen. Hierzu benötigt er Vertrauen und Akzeptanz.

Der SVR wird die Stimme erheben, die Dinge beim Namen nennen und old-fashioned auf Kommunikation setzen. Wenn er dies gut macht, wird er ausreichend zu tun haben und Gehör finden.


Der SVR

wurde vom DBVC als neutrale Anlaufstelle geschaffen, die bei strittigen Situationen in Coaching-Beziehungen und Fragen zu Methodenkompetenzen, Settings, Qualitätsansprüchen und Haftungsproblemen auf Anfrage fachliche Unterstützung leistet und auf Basis relevanten Coaching-Wissens objektiv prüft, beurteilt, Stellung bezieht und Empfehlungen gibt.

Weitere Informationen auf der DBVC-Website.

Dieser Artikel gefällt Ihnen?

Dann unterstützen Sie unsere redaktionelle Arbeit durch den Abschluss eines Abonnements und ermöglichen Sie es uns, auch in Zukunft fundiert über das Thema Coaching informieren zu können.