Kontrovers

Intrigen im Coaching

5 Min.

Erschienen im Coaching-Newsletter in Ausgabe 04 | 2003

Intrigen im Sinne von hinterhältigen Machenschaften zum Zweck, gegen jemand anderen zu arbeiten, gehören zum Alltag. Sie sind nicht nur in größeren Profit-Unternehmen vorzufinden, sondern nahezu grundsätzlich existent, wenn verschiedene Interessen(gruppen) zusammentreffen. Faktisch ist dies sehr häufig der Fall, wenn mehrere Menschen interagieren. Ohne paranoide Übertreibung kann daher davon ausgegangen werden, dass Personen, die in Ihrer Umwelt überhaupt keine Intrigen wahrnehmen, unter einer "Intrigenblindheit" leiden. Diese Intrigenblindheit hat zwei Hauptursachen:

  • Intrigen werden als moralisch verwerflich betrachtet, daher möchte man sich grundsätzlich nicht mit dieser Thematik auseinandersetzen, da sie als "schmutzige Angelegenheit" etc. angesehen wird (ethische Ebene).
  • Man hat selbst an sich den Anspruch, intrigenfrei zu interagieren (z.B. weil man Intrigen nicht für dauerhaft wirksam hält), daher beschäftigt man sich nicht damit, weil es als Zeitverschwendung erscheint (operative Ebene).

Beide Argumente haben zur Folge, dass es oft zu einer Abwehr, nicht aber zu einer echten Auseinandersetzung mit dem Thema "Intrige" kommt. In der Folge sind gerade die Personen, denen man es aufgrund ihrer Anständigkeit am wenigsten wünscht, Opfer von Intrigen. Die Geschichte ist voll von entsprechenden Beispielen.

Ein bekannter deutscher Nachrichtensprecher kommt so auch in einem seiner Bücher zu dem Urteil, dass der Ehrliche immer der Dumme sei. Die Realität ist jedoch ein wenig differenzierter zu sehen: Der Ehrliche KANN durchaus der Dumme sein, wenn seine mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Intrige ihn intrigenblind gemacht hat. Er MUSS jedoch nicht der Dumme sein, wenn er sich trotz ethischer oder operativer Abneigung mit dem Phänomen "Intrige" auseinandersetzt und somit zumindest die Chance hat, heimtückischen Schaden von sich und anderen abzuwenden.

Oder anders formuliert: sich nicht mit Intrigen auseinander zu setzen zeugt nicht zwangsläufig von Anstand oder Ehrlichkeit, aber häufig von blinden Flecken und Naivität.

Strategemkunde

Selbstverständlich kann, darf und sollte man - insbesondere als Coach - für sich in Anspruch nehmen, intrigenfrei zu arbeiten. Doch realistisch gesehen ist dies gerade nur dann möglich, wenn man die "Kunst der List" - Harro von Senger (2001) bezeichnet sie als "Strategemkunde" - durchschauen kann und sich nicht irreführen lässt. Zudem kann die Strategemkunde auch dazu dienen, das eigene Verhalten einer Selbstanalyse zu unterziehen, um zu verhindern, dass andere unser Verhalten ungewollt als List missverstehen. Denn nur weil man sich mit Intrigen nicht beschäftigt, heißt dies nicht zwangsläufig, dass unsere Umwelt uns auch als intrigenfrei wahrnimmt.

Für den Coach bedeutet dies, dass er einerseits in der Arbeit mit dem Klienten intrigenfrei agieren (und insbesondere so auch wahrgenommen werden) muss - sonst ist kein Vertrauensverhältnis möglich -, andererseits aber über umfassendes Strategemwissen verfügen sollte, um genau dies sicherstellen zu können. Und natürlich kann es für den Coach überaus hilfreich sein, z.B. im gemeinsamen Analyseprozess mit dem Klienten, auch dessen Verhalten zu reflektieren und ggf. herauszufinden, ob Intrigen gegen den Klienten selbst gesponnen werden. Denn zumindest erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Intrigen mit der Komplexität der Umwelt des Klienten: Je mehr unterschiedliche Personen und Interessen auf den Klienten einwirken, desto wichtiger wird es, potentielle Intrigen zu identifizieren, damit der Ehrliche eben nicht zum Dummen wird.

Dabei ist es nicht zwangsläufig notwendig, dass der Klient nun selbst zur Intrige greift, um eine Intrige abzuwehren. Vielmehr nimmt das Durchschauen einer Intrige dieser schon die Wirkung und gibt darüber hinaus die Möglichkeit zu erkennen, welche Ziele und Absichten welche Personen wirklich verfolgen. Eine vorurteilsfreie Beschäftigung mit der Strategemkunde kann somit die Grundlage für einen diagnostisch Prozess sein, um zu erkennen, was um den Klienten herum geschieht und von welchen Parteien aus welche Absichten verfolgt werden. Dies sind sehr wertvolle Informationen über die Systemumwelt des Klienten, die bei einer Beratung nicht außer Acht gelassen werden sollten.

In der praktischen Arbeit des Coach mit seinem Klienten kann diese Strategemanalyse z.B. an eine Systemvisualisierung (Aufstellungsarbeit) angekoppelt werden. Diese Vorgehensweise bietet sich insbesondere dann an, wenn der Klient bereits Opfer von Intrigen war und mehr Klarheit über das Zustandekommen und die Wirkung der Intrige gewinnen möchte bzw. Handlungskompetenz im Umgang mit Intrigen erwerben will.

Für den Coach selbst ist das Berücksichtigen möglicher Intrigen bereits beim Zustandekommen eines Auftrages zu beachten. Insbesondere sei hier auf die "Sündenbock-Funktion" eines Beraters hingewiesen, wenn ihm ein unmöglich zu erfüllender Auftrag zugedacht werden soll, um interne Verantwortlichkeiten zu verschleiern. Ein Coach sollte daher an ihn herangetragene Aufgabenstellungen und Zielsetzungen im Coaching einer Strategemanalyse unterziehen und ggf. klärende Gegenmaßnahmen ergreifen - oder gar den Auftrag ablehnen.

Fazit

Die Kenntnis und der Umgang mit Intrigen sind (nicht nur) für den Coaching-Prozess überaus wichtig und sogar hilfreich. Ziel ist allerdings nicht, selbst zum Intriganten zu werden, sondern Gefahren rechtzeitig zu erkennen und sich angemessen und wirkungsvoll auf eine Intrige vorbereiten zu können.

Literatur

  • Harro von Senger (2001). Die Kunst der List. Strategeme durchschauen und anwenden. München: C.H. Beck.

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