Portrait

Interview mit Gudrun Happich

Der eigene Weg ist immer der erfolgreichste

Das machen, wovon man überzeugt ist. Dies ist ihr Erfolgsgeheimnis und es prägt ihren außergewöhnlichen Lebensweg. Eine ebenso zentrale Prägung liegt in der Biologie, die ihre Denkweise und ihren Coaching-Ansatz beeinflusst: Die Natur als das erfolgreichste lebende System aller Zeiten inspiriert nicht nur die Technik, sondern wird zum Vorbild und Muster im Coaching. Mit Hilfe von allgemeingültigen, nachvollziehbaren Grundsätzen und Abläufen der Natur wird ein Coaching-Anliegen klar erfassbar.

20 Min.

Erschienen im Coaching-Magazin in der Ausgabe 3 | 2013 am 11.09.2013

Ein Gespräch mit Dawid Barczynski

Wie sind Sie ins Coaching gekommen?

Ich glaube man kommt nicht auf die Erde, weil man Coach werden will. Zumindest was meinen Lebenslauf angeht, würde ich sagen, Coaching war nicht wirklich mein Ziel, sondern eher die logische Konsequenz, um das, was ich mir im Leben vorgestellt habe, realisieren zu können. Die Geschichte fängt vorne an, weil wir durch so vieles geprägt werden, u.a. wo wir herkommen. Und was prägt mich eigentlich? Das eine ist, dass ich aus einem Familienunternehmen aus Ostwestfalen komme. Das andere ist, dass mich das Leistungsprinzip vielleicht schon von Kindesbeinen an sehr geprägt hat. Was sich dann auch daran gezeigt hat, dass ich mich schnell begeistert habe für Sport.

Sie waren Leistungssportlerin, d.h. Sprinterin.

Ich habe als Jugendliche zu den schnellsten Sprinterinnen Deutschlands gehört. Ich glaube mit 13 Jahren lief ich schon 12,2 Sekunden und fand das einfach toll.

Sie sprachen von Prägung: Wieso haben Sie sich dann für ein Biologie-Studium entschieden?

Die Biologie ist genau die dritte Komponente meiner Prägung. Ich bin auf dem Dorf groß geworden, da ist natürlich viel Natur, die mich faszinierte – ich wollte wissen, wie das alles funktioniert. Das war für mich auch ausschlaggebend, Biologie zu studieren: Ich wollte schlicht die ganzen Zusammenhänge kennen und meine Neugierde befriedigen, wollte sehr genau beobachten und analysieren, wie etwas funktioniert und versuchen, es zu verstehen. Dann, nach dem Studium, wollte ich unbedingt nach Berlin, wollte unbedingt in die Industrie, wollte unbedingt in der Mikrobiologie tätig sein … Tatsächlich war da immer ein „Ich will, ich will, ich will!“ und ich habe Wege gesucht, das auch zu verwirklichen.

Warum gerade Berlin?

Berlin, weil zu dem Zeitpunkt die Mauer fiel. Und ich habe auch früher schon häufiger Städte gewechselt wegen der Uni. Der Mauerfall war der Moment wo ich mir dachte: Hier wird etwas passieren, das gibt es nie wieder in der Art in Deutschland. Und wenn du tatsächlich mitbekommen möchtest, wie Menschen mit so einer Situation umgehen, welche Möglichkeiten entstehen, was da alles passiert, dann musst du dahin.

Nach dem Studium wurden Sie gleich als Führungskraft in einem Berliner Unternehmen eingestellt. Eine große Herausforderung für einen Berufseinsteiger.

Ganz ehrlich, ich hatte da schon Manschetten und sagte meinem damaligen Chef: Ich bin Anfänger und habe von Führung keine Ahnung! Aber er hat nur gemeint, das würde ich schon packen. Das Unternehmen beschäftigte sich mit Umweltsanierung, war also genau das, was ich machen wollte. In Berlin gibt es z.B. das Haus der Kulturen der Welt oder die „Schwangere Auster“, wie man im Volksmund sagt. Da wurde der Boden saniert und wir haben ihn mikrobiologisch gereinigt. Das wird kaum einer wissen, weil das Verfahren sind, die so geräuschlos und natürlich laufen, dass da keiner etwas mitkriegt. Und das war für mich toll: Diese Idee, aus etwas, das nicht gut ist – hier also einen Umweltschaden – mit Hilfe vorhandener Ressourcen, sprich Mikroorganismen, wieder etwas Sauberes zu machen in Einklang mit der Natur war für mich ein Traum.

Kann man das auf das Coaching übertragen?

Das kann man total übertragen, denn es ist genau das gleiche! Da ist etwas, was nicht in Ordnung ist und man versucht, dieses System zu verstehen und mit den Ressourcen der Natur, d.h. dort den Mikroorganismen, hier im Coaching den Ressourcen, die der Klient mitbringt, das nicht Optimale zu lösen. Es geht also darum, nicht zu brechen und zu biegen, keine komplizierten, unnatürlichen Techniken anzuwenden, sondern das zu nutzen, was im Positiven da ist, die Ressourcen der Natur nutzen.

Wie sind Sie dann von der Führungskraft zum Coach geworden?

Ich hatte sicherlich den gleichen Führungskraftalltag wie viele andere Führungskräfte auch und war doch ziemlich genervt, insbesondere von den vielen uneffektiven Führungsstrukturen. Das wollte ich einfach anders oder besser machen und habe nach Lösungen gesucht. Irgendwann habe ich dann gedacht: Sag mal, die Natur ist ein komplexes biologisches System, aber ein lebendes System – und ist nicht ein Unternehmen auch ein komplexes lebendes System? Das war erst einmal eine Hypothese.

Und dann habe ich weitergedacht: Wenn dem so ist, könnten dann nicht einige Prinzipien aus der Natur, ähnlich wie in der Bionik (wo sie auf die Technik übertragen werden und vielfach in der Industrie Anwendung finden), auch auf Menschen und Unternehmen übertragen werden? Das war also die Grundidee. Und das habe ich dann in meinem eigenen Führungsalltag ausprobiert und das hat gut funktioniert. Wir haben sehr gute Ergebnisse erreicht und die Leute waren zufrieden. Jedenfalls bin ich dann im Unternehmen die Karriereleiter ziemlich hochgeschossen, war Mitglied der Geschäftsleitung und für 1.000 Mitarbeiter verantwortlich – und ich war mit Mitte 20 an einem Punkt, wo ich alles erreicht hatte, was Erfolg für mich bedeutete …

Das ist beneidenswert.

… nur merkte ich gleichzeitig, dass ich kreuzunglücklich war und konnte das einfach nicht verstehen. Mein Umfeld verstand das auch nicht und alle meinten, ich hätte ein Luxusproblem! Dann lief in meinem Kopf diese Spirale ab: Ich verdiene hier gutes Geld, aber gutes Geld verdiene ich für gute Leistung oder zumindest hat mein Arbeitgeber Anspruch auf gute Leistung. Wenn ich aber unzufrieden bin, bringe ich nicht die höchste Leistung. Also ist das jetzt eigentlich kein Luxusproblem, was ich hier habe, sondern das interessiert auch meinen Arbeitgeber! Ich musste zusehen, wie ich es schaffe, wieder zufrieden und voll leistungsfähig zu sein. So bin ich auf die Suche gegangen und habe so ziemlich alles an Seminaren, Weiterbildungen, Beratungen usw. in Anspruch genommen, um herauszufinden, was ist mein Problem ist.

Und das Ergebnis war?

Naja, ich habe immer wieder Dinge und Erkenntnisse ausprobiert, angewendet usw. Irgendwann stellte sich heraus, welche Kriterien für mich erfüllt sein müssen, um glücklich zu sein: Das Thema muss passen – was gegeben war. Die Position muss gut sein – das war sie. Das Umfeld muss stimmen – das tat es nicht! Ich war aufgrund meines Idealismus und meiner Liebe zur Biologie in dieses Unternehmen gekommen, aber der Inhaber vertrat eine vollkommen andere, rein auf finanziellen Erfolg zielende Ideologie, was natürlich zwischen uns zu einem schweren Wertekonflikt führte.

So wusste ich aber, dieses Umfeld tut mir nicht gut, aus diesem Umfeld muss ich raus. Kurzerhand habe ich die Branche gewechselt und bin in die Weiterbildungsbranche gegangen zu einer internationalen Managementakademie, in der es darum ging, individuelle Ausbildungsgänge zum Thema Führung und Persönlichkeit zu konzipieren und durchzuführen. Und da ging es dann wieder steil bergauf mit der Karriere. Doch ich war immer noch nicht so ganz zufrieden. Obwohl ich Thema, Position und Umfeld super fand.

Und was war es diesmal?

Inhaltlich hat mich zu dem Zeitpunkt besonders interessiert, wie Menschen und vor allem Führungskräfte schneller an ihre Ziele kommen können. Dazu hatte ich einige Ideen und die wurden dann einfach ausprobiert. Das war insofern klasse, weil ganz viele Menschen diese Ausbildung absolviert haben und wir meine Hypothesen und Ideen sehr schnell, fast benchmarkmäßig, überprüfen konnten. Und genau hier dachte ich: Ne, für mich gibt es mehr! Denn ich merkte, dass ich näher ran wollte an meine Lieblingszielgruppe, die Leistungsträger, und mit ihnen wollte ich direkt und individuell arbeiten, meine Erfahrungen auch als Führungskraft – denn als solche hat man auch eine spezielle Rolle – einbringen.

Parallel dazu hatte ich zu dieser Zeit schon quasi erste Erfahrungen als Coach neben meiner Führungstätigkeit gesammelt. Dann war der Groschen gefallen und ich wusste: Mensch, das ist es! Dann war eigentlich der Sprung naheliegend, mein eigenes Coaching-Unternehmen Galileo zu gründen, um Leistungsträger auf ihrem Weg, ihre Ziele zu erreichen, zu unterstützen.

D.h. Sie haben neben Ihrer Arbeit bei der Managementakademie als Coach gearbeitet?

Genau. Um zumindest ein Gespür dafür zu kriegen, ob das meins ist. Und das machte mir schon sehr viel Spaß. Für mich war Coaching eine logische Konsequenz oder Weiterentwicklung: Als Führungskraft habe ich den Führungsalltag mit seinen Problemen kennengelernt, habe dagegen erfolgreich etwas getan und schließlich war ich bei der Konzeption von Ausbildungen rund um das Thema Führung beteiligt. So wurde ich Coach.

Haben Sie dann auch Coaching-Ausbildungen absolviert?

Ja, ganz viele! Mein Ziel war und ist, zu den Besten am Markt zu gehören und da gehören natürlich coachingspezifische Ausbildungen einfach dazu. So habe ich gleich drei Coaching-Ausbildungen gemacht. Tatsächlich besuche ich stetig Aus- und Weiterbildungen, vielleicht ungefähr in der Häufigkeit, in der andere ins Kino gehen. Das gehört für mich als professioneller Coach dazu.

Welche Coaching-Ausbildung hat Sie am meisten geprägt?

Das war sicherlich meine erste systemische Coaching-Ausbildung bei Prof. Dr. med. Fritz Simon – einem der Urväter des systemischen Gedankens. Dazu gibt es eine schöne Anekdote: In vielen Ausbildungen war ich als Biologin immer der Exot. So saßen in jeder neuen Vorstellungsrunde überwiegend BWLer und Psychologen, die mich fragend angegrinst haben und ich dann mit meinen Erklärungen anfangen durfte.

Bis zu meiner ersten systemischen Weiterbildung: Gerade wollte ich wiedermal meine Erklärung abgeben, da sagte der Ausbilder: „Naja, für Sie ist das alles kalter Kaffee hier. Als Biologin kennen Sie die grundsätzliche Gedankenrichtung“. Da war ich erst ganz irritiert. Doch dann merkte ich, dass dieses systemische Gedankengut mir extrem nah kommt aufgrund meines Biologiestudiums – ich fühlte mich sofort wie ein Fisch im warmen Wasser.

Wenn man an „Systeme“ denkt, so fällt einem zunächst eher Soziologie, nicht unbedingt Biologie ein. Oder z.B. Niklas Luhmann.

Ja, stimmt. Aber Soziologie und Biologie hängen eng zusammen. Das Systemische ist sowieso eine Kombination aus den Naturwissenschaften und soziologischen und auch psychologischen Ansätzen. Das hört sich erst mal weit weg an, aber es liegt extrem nah.

Wie meinen Sie das?

Um mal ein paar Grundsätze aus dem Systemischen, oder wie ich das Systemische verstehe, zu nennen: Man geht weg von der bloßen Betrachtung von Ursache und Wirkung und eher hin zur Idee, dass alles miteinander in Zusammenhang steht – genau wie in der Natur. Dieses alte, von Ursache und Wirkung geprägte Denken funktioniert in der Biologie und in den Naturwissenschaften schon lange nicht mehr, da muss man unbedingt auf die möglichen Zusammenhänge zwischen den Dingen blicken.

Ebenso wichtig ist, dass man beim systemischen Ansatz nicht nur in festgeschriebenen Hypothesen, sondern auch in Möglichkeiten denkt: Es könnte so sein, muss es aber nicht. Den Anspruch, dass ich einfach Recht habe, gibt es hier schlicht nicht. Genau das habe ich als Biologin extrem früh gelernt. Während des Studiums wollten wir natürlich alle beweisen, wie die Prozesse in der Natur funktionieren und haben großartige Hypothesen aufgestellt, die wir mit der ersten Ausnahme – die es oft gibt – sang- und klanglos wieder fallen lassen durften.

Daraus entwickelt sich eine Haltung: Ich habe nicht recht, sondern ich begegne einem System Natur und darf es beobachten, darf versuchen, es zu verstehen, versuchen, Prinzipien zu erkennen und zu übertragen. Diese Haltung finde ich im Systemischen und in der Natur absolut identisch. Dazu kommt, dass mir Fritz Simon einst gesagt hat, für ihn sei das Systemische keine Methode, sondern eine Einstellung und Geisteshaltung, d.h. eine Idee, wie die Welt mit allen Individuen funktioniert. Und das gefällt mir sehr gut, weil ich das für mich als Biologin perfekt übertragen kann.

Entstand da Ihr Coaching-Ansatz, Biologie mit Coaching zu verbinden?

Ich habe schon früher mit Menschen und Führungskräften gearbeitet und mir dabei, teils unbewusst, die Natur zum Vorbild genommen. Da dann das Coaching mitreinzunehmen – ich habe eigentlich gar nicht drüber nachgedacht – war eigentlich logisch. Die bioSystemik, wie ich meinen Coaching-Ansatz nenne, ist im Grunde ein Konglomerat aus allen meinen Erfahrungen, d.h. aus Führungserfahrung, aus Coaching-Erfahrungen und meiner naturwissenschaftlichen Denke.

Wie sieht die Verbindung von Biologie und Coaching, die bioSystemik aus?

Die Idee ist, grob schemahaft, dass da jemand ist, der eine Herausforderung, ein Problem o.ä. hat und sich fragt, wie löse ich das? Viele versuchen dabei, sich an einem Vorbild zu orientieren und suchen dann nach einem guten, erfolgreichen Vorbild, und Prof. Dr. Dr. h.c. Frederic Vester, ein renommierter Bio-Kybernetiker, hat einmal gesagt: „Die Natur ist das erfolgreichste Unternehmen aller Zeiten“.

Wenn ich also nach einem glaubwürdigen Vorbild suche, dann nicht nach einem neuen Management-Tool, sondern dort, wo einfach Erfahrung und Erfolg sind – in der Natur. Also wird für das Problem des Klienten ein Beispiel aus der Natur gesucht und anschließend gemeinsam eine Idee oder eher ein Prinzip herausgearbeitet, das für die Situation hilfreich sein könnte.

Wie sieht So ein Beispiel aus der Natur aus?

Ein schönes Beispiel ist: Führungskräfte sind mehrfach in ihrem Leben im Rollenwechsel, von der Fach- zur Führungskraft, vom mittleren ins oberste Management usw., was von vielen als ziemlich schwierig empfunden und erlebt wird.

Da kann man kluge Sprüche bringen, aber ich vergleiche das gerne mit der Metamorphose der Raupe zum Schmetterling: Wenn eine Raupe zum Schmetterling wird ist das eigentlich super, ein absoluter Schritt nach vorne. Diese Freiheit, die der Schmetterling hat … er kann jetzt sogar fliegen usw. Von außen betrachtet also ein Riesenerfolg. Wenn man das jetzt umdreht und sich in die Raupe versetzt, sieht es für die Raupe häufig gar nicht so rosig aus, weil alles, was sie bisher kannte, plötzlich nicht mehr gilt.

Auf sie kommen eine Menge Veränderungen zu, von denen sie gar nicht weiß, was das ist. So eine Raupe könnte sich ja auch fragen: „Fliegen?! Was ist das denn?“ Sie ist ja bislang auf ihren Beinchen gewesen. Aus Sicht der Raupe wird so ein Wechsel zunächst als existentiell bedrohlich empfunden – klarerweise. Damit habe ich die Brücke zu der Führungskraft, die auch emotional die Sache zu begreifen beginnt und ihr bewusst wird: „Stimmt, auf dem Papier ist es eine Beförderung, aber jetzt verstehe ich, warum ich mich so fühle“.

Weil es eine komplette Umstellung ist …

Es ist ein komplett anderes Leben!

… auch des Umfelds.

Genau und man kann nun auch weiter schauen, was denn als Schmetterling alles anders ist: Er muss fliegen lernen, muss von einer Blüte zur nächsten etc. Diese Betrachtung, übertragen auf die Führungskraft, wird sie dafür sensibilisieren, welche Besonderheiten es an der neuen Rolle, welche Regeln und welche Gepflogenheiten es gibt. Als Führungskraft mache ich Dinge anders als eine Fachkraft und als Vorstand mache ich wieder anderes als im mittleren Management. Diese Erkenntnis wird in der Regel sehr dankbar angenommen.

D.h. mit Hilfe von Analogien zur Natur wird dem Klienten sein Problem verdeutlicht und von einer anderen Perspektive aus betrachtet.

Richtig. Eine Vorgehensweise sind diese Analogien und sie sind der einfachste Schritt. Zwar ist eine Führungskraft ja nicht doof und es liegt mit Sicherheit nicht an mangelnder Intelligenz, wenn es mal ein bisschen holpert. Doch in dem Moment, wo es wichtig ist, fällt ihr manchmal nicht das ein, was sie jetzt bräuchte, dann ist ein schnelles, einfaches Bild oft sehr hilfreich. Eine andere Möglichkeit des Perspektivwechsels besteht im direkten Hinweis auf grundlegende Prinzipien in der Natur.

Welche Prinzipien meinen Sie?

In der Physik oder in der Natur gibt es z.B. den Energieerhaltungssatz: Die Summe der Energie in einem System bleibt gleich. Kennt jeder, zumindest jeder, der ein bisschen Verständnis von Physik hat. Ob ich das gut finde oder nicht, ist vollkommen egal – es ist ein Naturgesetz. Wenn das nun für Energie gilt, gilt es vielleicht auch für etwas anderes, wie beispielsweise: Die Summe der Verantwortung in einem System bleibt gleich. Das wäre dann der hypothetische „Verantwortungserhaltungssatz“.

Ein Beispiel: Eine Führungskraft lädt sich alles auf die Schultern, übernimmt unendlich viel Verantwortung und beschwert sich dann, dass die Mitarbeiter nichts machen, keine Verantwortung übernehmen und man sie ständig kontrollieren muss. Die „normale“ Reaktion der Führungskraft ist, dass sie noch mehr Druck macht, noch stärker kontrolliert und noch mehr Verantwortung übernimmt – was natürlich auf Dauer nicht funktioniert. Nimmt man nun anhand des allgemeingültigen Energieerhaltungssatzes an, dass das auch für Verantwortung gelte und die Führungskraft 90 Prozent Verantwortung übernimmt: Wie viel bleibt dann für die Mitarbeiter übrig? – 10 Prozent, das ist der erste Schock. Was muss dann mit Blick auf das Gesetz getan werden, um das zu ändern? – Es muss Verantwortung abgegeben werden! Also statt immer mehr zu machen, weniger machen!

Und wie reagiert eine gestandene, verantwortungsbeladene Führungskraft darauf?

Total überrascht, findet das aber gleichzeitig logisch und nachvollziehbar und hat meistens den Impuls, das auszuprobieren. Wenn man an dem Punkt ist, kann man konkret prüfen, was sie in ihrer Situation machen könnte und wie das aussehen könnte. Denn „mach weniger“ bedeutet hier, nicht einfach „weniger zu machen“, sondern vor allem den anderen die Möglichkeit zu geben, Verantwortung zu übernehmen.

Nur müssen die anderen bereit sein (mehr) Verantwortung zu übernehmen.

Das spannende ist ja, dass die Summe der Verantwortung in einem System gleich bleibt. Das ist das Gesetz. Jetzt stellt sich die Frage, wer ist das System? Das hat nichts damit zu tun, wer von einem Organigramm her zu einer Abteilung gehört, sondern das sind die, die sich diesem System zugehörig fühlen. Also die, die an einem Strang ziehen und wirklich engagiert sind und Verantwortung übernehmen können und wollen. Darin steckt eine Möglichkeit, zu erfahren, wer in meinem Team überhaupt noch dabei ist und auf wen ich bauen kann. Wenn dann einer dabei ist, der tatsächlich innerlich gekündigt hat, dann haben wir einfach ein anderes Thema.

Wie wichtig ist Ihre Praxiserfahrung als Führungskraft im Coaching?

Zu mir kommen Klienten mit Themen, die ich selber früher als Führungskraft hatte. Also die ich selber er- und durchlebt habe und für die ich auch Lösungen gefunden habe, durch eigene Praxiserfahrung und natürlich durch diverse Trail-and-Error-Prozesse. Ich habe aber keinesfalls den Anspruch, dass ich jetzt weiß, wie alles besser geht! Weil ich aber keine Theorie vom Pferd vermittle, gibt das meinen Klienten einfach viel Sicherheit. Auch arbeite ich immer weiter an meinen Themen. Daher wird Coaching für mich auch ein lebenslanger Entwicklungsprozess sein.

Kleiner Themenwechsel: Was bedeutet Qualität im Coaching für Sie?

Extrem viel! Wie gesagt, ich wollte in dem, was ich mache, zu den Besten gehören. Das bedeutet für mich eben auch, nicht eine, sondern drei Coaching-Ausbildungen zu machen und sich immer weiterzubilden. Auch Zertifizierung spielt dabei eine Rolle: Ich habe mich 2006 von der ICF zertifizieren lassen, als glaube ich eine der ersten Beraterinnen Deutschlands, die die weltweit höchste Zertifizierungsstufe erreicht hat.

Das war mir sehr wichtig und zwar nicht aus irgendwelchen Marketingstrategien, sondern aus meiner Verantwortung meinen Klienten gegenüber. Qualität ist für mich also: professionell und neutral sein, sich permanent weiterentwickeln und –bilden und sein Handeln reflektieren. Als Coach kann man nämlich so viel bewirken und zwar im positiven wie im negativen Sinne, da muss die Qualität einfach stimmen.

Sind Sie aus diesem Grund dem DBVC beigetreten?

Genau. Ich habe mir zuvor verschiedene Verbände angeschaut und war auch in einigen drin, habe dann aber schnell gemerkt, dass die nichts für mich sind. Der DBVC wurde 2004 gegründet, seitdem habe ich ihn bei mir auf der Agenda und habe immer beobachtet, wie er sich entwickelt. Etwa vier Jahre später war ich davon überzeugt, dass er wirklich seriös ist. Aus meiner Sicht ist der DBVC der Verband für den Business-Bereich mit den höchsten Ansprüchen und ein Ort für High-Level-Coaches, an dem man sich auf einem sehr hohen qualitativen Niveau austauschen und das Thema voranbringen kann. Genau das erwarte ich von einem Berufsverband.

Was würden Sie angehenden Coaches empfehlen? Haben Sie einen Tipp oder Ratschlag?

Der erste, wichtige Impuls ist, sich wirklich zu fragen, warum man Coach werden will. Was will man damit bewegen und bezwecken? Dann, wenn man als Coach wirklich berufstätig werden will, sollte man sich das gesamte Berufsfeld des Coachs ansehen und auch wirtschaftlich denken: Es gehört nämlich auch dazu, dass man an Klienten kommt.

Man muss wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen können.

Ja und das gilt nicht nur für angehende Coaches, sondern generell. Natürlich habe ich auch schon viel ausprobiert, was nicht funktioniert hat und viel Geld für Blödsinn ausgegeben, aber ich komme immer wieder zurück zu dem Punkt: Mache das, wovon du überzeugt bist und das dann sehr konsequent und unter realistischen Bedingungen.

Bei mir war das immer der Erfolgswegweiser: Als ich Galileo gegründet und gesagt habe, dass ich nur prozessorientierte, individuelle Begleitung machen werde mit Leuten, die zu mir passen und ich zu denen, da hat mein Umfeld gesagt: „Nach spätestens einem Jahr bist du tot! Coaching, das hat noch bei keinem geklappt …“ usw. Nach einem Jahr, als alles erfolgreich lief, kamen die ersten Neider, schließlich machte ich nur das, was mir Spaß macht. Aber Neid ist ja die primitivste Form der Anerkennung. Diese Erfahrung bekräftigt mich nur in meiner Einstellung, das zu tun, wovon ich überzeugt bin.

Der eigene Erfolg ist also auch Richtungsweiser.

Ja, früher auf meiner alten Web-Site hatte ich als Slogan „Der erfolgreichste Weg ist der eigene Weg“. Es geht darum, diesen Weg zu erkennen, zu verstehen und sich darauf zuzubewegen. Da steckt für meine Begriffe unendlich viel drin. Auch Verantwortung.

Verantwortung und Professionalität sind also im Grunde das, was man mitbringen muss – Erfolg ist dann das Ergebnis.

Genau. Ich habe das alles, was ich mache, nie gemacht, um damit primär viel Geld zu verdienen, weil ich immer der Meinung war, wenn ich davon, was ich mache, überzeugt bin und es einfach gut ist, dann kommt der Erfolg – auch der wirtschaftliche – von alleine. Wenn es nicht stimmig ist, dann funktioniert es auch nicht: Also nehme ich nur Aufträge an, von denen ich überzeugt bin, dass sie für mich stimmig sind. Und dann kommen so schöne Aufträge und interessante Klienten – manchmal bin ich fast beschämt und denke: „So tolle Leute kommen zu mir?“ Da muss ich mir selber erst mal auf die Finger klopfen und sagen: „Ja, warum eigentlich nicht?“

Sie haben immer das gemacht, wovon Sie wirklich überzeugt waren: Was bringt die Zukunft, wird es bei Coaching bleiben?

Ja, das spannende dabei ist: Mir wird überhaupt nicht langweilig. Das ist auch eine Frage, die ich öfters höre: Immer die gleichen Themen, ist das nicht irgendwie langweilig? Diese Frage überrascht und irritiert mich. Denn es kann zwar sein, dass die Themen ähnlich sind, aber die Lösungen sind es nicht, die sind doch individuell. Von daher kann ich mir gar nicht vorstellen, dass das jemals aufhört. Zudem verfolge ich immer wieder neue spannende Projekte, wie z.B. die „Community für Human Excellence“, eine Austauschplattform für Führungskräfte, die ich ins Leben rief. Und im Frühjahr 2014 erscheint mein zweites Buch. Es beschäftigt sich genau mit der Frage, die mich lange bewegt hat und die auch viele meiner Klienten umtreibt: Was will ich wirklich?

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